Heute, Wanderer, erfahre eine der härtesten Lehren, lerne – ich will Dich lehren: Lerne ihn kennen, meinen Bruder, den American Native Leonard Peltier, lerne sein Leben kennen, von dem er sagt, es sei „sein Sonnentanz“
Bist Du bereit, Wanderer, ein Leben nachzuvollziehen, bist Du bereit, zum Leben des Sun dancers? Dann möge Dich der große Geist nach Grand Forks (Great Turtle Island) in North Dakota entführen,man schreibt den 12. September 1944: Du wirst geboren, den Ojibway (Chippewa) und Dakota Sioux abstammend, traditionell von den Lakota angenommen. Die erste Zäsur erlebst Du in Deinem 4. Lebensjahr, die Eltern trennen sich. Fünf Jahre Kindheit sind Dir bei den Großeltern väterlicherseits in North-Dakota vergönnt. Mit dem Jahr 1953 – dem gravierenden Schicksalsjahr für Dich - ändert sich dieses/Dein Leben schlagartig: Regierungsangestellte dringen in das Häuschen Deiner Großmutter ein, zwingen Dich gegen Deinen Willen und den Deiner Großmutter mitzukommen, eine Internatsschule des Büros of Indian Affairs (BIA) ist ihr Ziel. Damit bist auch Du dem Schicksal der meisten indianischen Kinder dieser Zeit in den USA und Kanada nicht entgangen: Gewaltsam aus den Familien gerissen, in eine sog. „Boardingschool“ verbracht, die Kopfhaare kurz geschoren, eine Schuluniform tragend, Verbot der eigenen Sprache,des eigenen Glaubens, die eigenen Lieder zu singen. Brutalste Durchsetzung dieser Ge- und Verbote mit physischen (auch sexuellen) und psychischen Misshandlungen, mit Hilfe bewusster künstlicher Infizierung von Krankheiten, Entwürdigungen und Freiheitsentzug. Dies ist Dein Leben bis 1957, Deine erste Erfahrung einer Form von Inhaftierung.
Doch die Rückkehr in die Reservation erleichtert keineswegs Dein Leben. Sie fällt in die Zeit, in der der damalige US-amerikanische Präsident Eisenhower eine Resolution unterschrieben hat, derzufolge alle indianischen Reservate aufgelöst und die dort lebenden Indian Natives zwangsweise umgesiedelt werden sollen. Um diese unmenschliche Zwangsassimilierung und Vertreibung durchzusetzen, die Zahl der Reservationsindianer dadurch zu dezimieren, hat die US-Regierung Ende der 50er-Jahre die an sich schon sehr knappen Nahrungsmittel- und Warenlieferungen ganz eingestellt. Das hat Deine Jugend sehr stark geprägt; so wie es in dem Buch „Mein Leben ist mein Sonnentanz“ (L. Peltier, 1999, S. 113) beschrieben wird:
“Hunger war das einzige, von dem wir genügend hatten; oh ja, davon hatten wir ausreichend, genug für jeden. Wenn verzweifelte Mütter ihre Kinder mit aufgequollenen Bäuchen ins Krankenhaus brachten, lächelten die Schwestern und sagten ihnen, die Kinder hätten nur >Blähungen<. Ein kleines Mädchen, das ganz in der Nähe wohnte, starb an Unterernährung. Für mich wurde sie >aufgelöst<.”
Was Dich eigentlich aufrüttelt, sind die Medienberichte über einen Konflikt zwischen Non-sportive-Fischern und kommerziellen Fischern einerseits und Fischern der Indian Natives andererseits. Die schockierenden Fernsehberichte zeigen Polizisten, die indianische Demonstranten ohne Ansehen der Person – auch Frauen und Kinder - mit Knüppeln blutig und niederschlagen, misshandeln und erniedrigen.Diese Bilder elektrisieren, sie sind Dein Awakening!
Es ist kein Wunder, dass Du Dich in den 60ern – wie viele andere Amerikaner – im Kampf für Menschen-, Bürger- und Indianerrechte organisierst. „Red Power“ der Kampfruf der Native Americans, ist auch Dein Kampfruf gegen die jahrhundertelange Unterdrückung und den schleichenden Genozid der indianischen Bevölkerung. 1968 gründet sich das American Indian Movement, kurz AIM. Bei der ersten spektakulären Handlung bist Du noch nicht dabei, bei der Besetzung der bekannten Gefängnisinsel Alcatraz, doch diese Handlung bleibt Dir als Vorbild für alle künftigen Aktionen im Gedächtnis verhaftet, wie z.B. bei der Besetzung von Fort Lawton in der Nähe Seattles im Jahre 1970. Erst 1972 schließt Du Dich dem AIM an, nimmst in Washington teil am „March of broken Treaties“. Aufgrund verschiedener gebrochener Versprechen und nicht eingehaltener Gesprächstermine besetzen die Natives tagelang das Bureau for Indian Affairs, nur ein paar Blocks vom Weißen Haus entfernt. So bist Du in das Blickfeld des FBI geraten, der Dich argwöhnisch beobachtet...
Wie alles begann...
Durch die US-Regierung inszenierte Überfälle in South Dakota zwischen 1972-1976, als Raub und Unfall getarnt, kosteten vielen Lakotas das Leben: Ziel – die Zerschlagung des AIM, Vernichtung seiner Sympathisanten und deren Familien (mit Rückendeckung des sog. „Stammesführers“ Dick Wilson, der offenbar um seines eigenen Vorteils Willen diese Gewalttaten unterstützte). Im Jahr 1975 wurde in Pine Ridge wöchentlich ein Mord verübt, so dass sich die Zahl der Getöteten Ende Oktober, nach den Unterlagen von Chief Frank Fowl Fools Crow, dem traditionell indianisch lebenden heiligen Mann der Oglala , auf die Summe von 80 ermordeten Menschen belief (die offiziellen Polizeistatistiken zeigten weit weniger Fälle auf), Morde, die nie aufgeklärt wurden. Indianer, wie Dick Wilson, so erklärte „Tunkushila“ Fools Crow, würden die traditionelle Kultur nicht mehr verstehen. Sein friedlicher Widerstand gegen die Machenschaften Dick Wilsons hatte zur Folge, dass sein Leben im April 1976 in aller Öffentlichkeit von Wilsons Leuten bedroht, das kleine Häuschen seiner Familie niedergebrannt wurde... In dieser gefährlichen, gewalttätigen Situation baten die traditionell lebenden Natives des Reservates das AIM um Schutz. Am 25. Juni 1975 fand sich Dick Wilson in Washington DC ein, um Verhandlungen über den Verkauf eines Achtels des Reservatlandes zu führen, ohne die Zustimmung der Eigner zu führen.
Am 26. Juni 1975 drangen zwei FBI-Agenten – ohne Ankündigung und ohne Durchsuchungsbefehl - in das Pine-Ridge-Reservat ein und eröffneten dort das Feuer gegen die Bewohner (unter Hinzuziehung anderer FBI-Beamter). In dem Verlauf dieser Schießerei wurden die Agenten Coler und Williams, sowie der Native American Joe Stuntz getötet..
Vier American Natives wurden wegen Mordes an den Agenten angeklagt – der Mord an Joe Stuntz wurde bis heute weder angeklagt, noch verhandelt! Einer der Angeklagten wurde wegen mangels an Beweisen gleich frei gelassen, bei zwei anderen – Robideau und Butler – stellten die Geschworenen 1976 fest, dass sie in Notwehr gehandelt hätten – sie wurden frei gesprochen.
Leonard Peltier, der vierte (zunächst nach Kanada geflüchtete) wegen dieses Verbrechens Angeklagte, wurde im folgenden Jahr – aufgrund einer gefälschten eidesstattlichen Erklärung – von Kanada ausgeliefert und – ohne Beweise – wegen Beihilfe zum Mord zu zweimaliger lebenslänglicher Haft verurteilt, obwohl das US-amerikanische Justizministerium zugegeben hat, nicht zu wissen, wer die beiden Agenten getötet hatte!
Vergeblich sind die bisherigen Bemühungen Kanadas verlaufen, Leonard Peltier nach Kanada zurückzuholen, nachdem der mit dem Fall betraute US-Staatsanwalt zugeben musste, die eidesstattliche Aussage, die zur Auslieferung Leonard Peltiers führte, selbst konstruiert zu haben.
Fühlst Du, Wanderer, die Verzweiflung, schon 35 Jahre unschuldig – oft in Einzelhaft – gefangen zu sein? die Angst, niemals mehr die Heimat sehen zu können, niemals mehr mit der Familie zusammen sein ? Spürst Du den Schmerz der Krankheit, die Dich heimsucht - ohne die Linderung ausreichender Medikamente? Ahnst Du den letzten Halt der Hoffnung, dass eine ausgleichende Gerechtigkeit dafür sorgen könnte, dass sich noch während Deines Lebens die Gefängnistore in die Freiheit öffnen mögen?
Dies war meine härteste Lehre, Wanderer!
Größer, mahnender und lebendiger als die Fackel der Freiheitsstatue im Hafen New Yorks brennt die Fackel von Amerikas Schande: Arroganz und Gier der weißen Rasse erlauben einen schleichenden, heimlichen Holocaust der United States of America in vielen Reservaten der American Natives – immer noch mit ungerechtfertigter Landnahme, Vertreibung und Tod! Leonard Peltier steht dafür als lebendiges Mahnmal! (Dieser Fall ist Gegenstand zahlreicher Bücher, TV-Reportagen und Filmprojekte (der bekannteste ist der 60minütige TV-Streifen "Zwischenfall bei Oglala" von Robert Redford). Über 20 Millionen Bürger unterschiedlicher Länder, 60 US-Kongressmitglieder, 51 Mitglieder des Kanadischen Parlaments und die New Democratic Party of Canada, die National Association of Defense Lawyers (Nationale Anwaltskammer der USA), der Erzbischof von Canterbury und der Nobelpreisträger Bischof Desmond Tutu hatten das "Weisse Haus" um die Wiederaufnahme des Verfahrens gebeten oder Petitionen eingereicht, ebenso wie Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. - Leonard erhielt den Internationalen Menschenrechtspreis der Spanischen Menschenrechtskommission. Im Juli 1992 wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Auch Senatoren und Kongressabgeordnete setzten sich für den Inhaftierten ein). Frage an den Präsidenten der USA, des Landes, das behauptet, führend in der Welt als Rechtsstaat zu sein: Mr. President, Sie sollen der „mächtigste Mann der Welt“ sein. Welche Macht hindert Sie an der Durchsetzung der Menschenrechte, der Bill oft Rights ( z.B. Artikel 8 der Zusammenfassung von 1791: Verbot überhöhter Kautionen und Geldstrafen sowie grausamer und ungewöhnlicher Strafen)?