Sie sind bekannt, jene Märchen, Mythen und Legenden über die sog. Bosheit des Wolfes, angeblich des Menschen Feind. Dass Wölfe an den Menschen sehr anpassungsfähige, soziale Lebewesen sind, sollen die beiden folgenden nacherzählten Erlebnisse belegen, deren Ursprung im Buch „Faszination Wolf“ der Wolfsforscher Christoph und Barbara Promberger zu finden ist.
Alt war er, Ken Nukwon, ein American Native im kanadischen Yukon, nördlich des Polarkreises, der seinen Leben als Trapper und Fallensteller fristete, mit entsprechend reicher Fülle an Erlebnissen und Geschichten. Von einem seiner gravierendsten und faszinierenden Erlebnisse handelt die folgende Geschichte: Ken kontrollierte eines Winterabends auf Schneeschuhen die „Trapline“, dort, wo er Fallen für Marder und Luchse aufgestellt hatte. Bei seiner Rückkehr glaubte er anhand von Spuren im Schnee, dass ihm einer seiner Hunde gefolgt sei, aber sie lagen alle angekettet an ihren Plätzen. Am nächsten Tag zeigten sich wieder die ominösen Spuren, das Tier, das sie hinterlassen hatte, war ihm offenbar wieder gefolgt, ohne aber in eine der Fallen zu treten. Die Spuren ließen ihm keine Ruhe und so verbarg er sich auf halbem Weg hinter einer Fichte. Sein Erstaunen war groß, als wahrhaftig nach wenigen Minuten ein Wolf des Weges kam, ein zerzaustes, abgemagertes, offensichtlich sehr hungriges Tier, das ihn in fünf Metern Entfernung entdeckte, kurz stehen blieb – ihn etwas verschämt ansah und dann wieder allmählich zurücktrottete. Neugierig geworden, beschloss der alte Trapper den Wolf nicht zu erschießen – es hätte im leicht gelingen können – sondern mehr über ihn zu erfahren.
Die nächste Gelegenheit dazu ergab sich am Abend bei der Fütterung der Hunde, der Wolf zeigte sich wieder in etwa 20 m Entfernung und sah Ken Nuwkon an. Schließlich warf er wie seinen Hunden auch ihm einen gefrorenen Lachs zu, den der Wolf aber nicht anrührte, solange Ken sich bei den Hunden befand. Später konnte Ken den Wolf durch das Fenster seiner Hütte beobachten, wie er den Lachs nahm und im Wald verschwand. Dieses Spiel wiederholte sich immer wieder, der Wolf kam und hielt Abstand, tat den Hunden nichts – im Gegenteil nach einigen Tagen hatte er sich mit ihnen angefreundet und begann, ausgiebig mit ihnen zu spielen. So ging es den ganzen Winter, er wurde gefüttert und schlief bei den Hunden bis zum Frühjahr. Sein Verschwinden geschah so plötzlich wie sein Auftauchen.
Dann, drei Jahre später an einem Winterabend, erblickte der Trapper zwischen den Bäumen, nicht weit von der Hütte entfernt, wieder den Wolf. Es war ohne Zweifel „sein Wolf“, der ungewöhnliche Gefährte eines Winters. Stark und groß war er geworden und beobachtete eine Zeitlang das Geschehen an der Hütte, dann verschwand er wieder.
Eine Stunde später hörte Ken sein langgezogenes Heulen als Dankeschön und Abschiedsgruß...
Das Forscherpaar hatte eine tragende Leitwölfin in den Bergen, 10 km von der rumänischen Stadt Brasov entfernt, gefangen und mit einem Halsbandsender versehen, so dass die Bewegungen dieses Tieres gut zu verfolgen waren. Anfang April kam die Zeit zur Geburt der Welpen, die Wölfin ließ sich zum großen Erstaunen nur 2 km von der Stadt entfernt in einem Buchendickicht nieder und warf dort ihre Jungen. Die Forscher trauten in den folgenden Wochen und Monaten ihren Augen nicht: Perfekt an die Umgebung angepasst, kannte das Rudel die reichhaltigen Nahrungsquellen der Großstadt bestens, bediente sich am Futtercontainer im Zoo, an den Kaninchen im Park und belauerte die Mülldeponie mit ihren ausgezeichneten Jagdmöglichkeiten auf Ratten, streunende Hunde und Katzen. Spät heimkehrende Partybesucher sahen morgens um 3.00 im Licht der Straßenlaternen nicht die vorbeihuschenden Wölfe, wie die Forscher registrieren konnten.
Die Leitwölfin blieb sogar an manchen Tagen bis in die Morgenstunden auf der Mülldeponie am anderen Ende der Stadt, um dann inmitten des Berufsverkehrs ruhig und gelassen durch die ganze Stadt hindurch zu ihren hungrigen Welpen zurückzulaufen. Diese fast unwirklichen Tatsachen wurden von einem Filmteam des BBC und dem Schweizer Kameramann Markus Zeugin dokumentiert. Dadurch wurde zwar das ganze Rudel international berühmt, aber die Einwohner von Brasov bemerkten nichts, nur mit einer Peilantenne waren die Grauen auf ihren nächtlichen Streifzügen zu registrieren, so perfekt war ihre Anpassung.
Wer weiß, vielleicht leben sie schon lange unter uns, perfekt getarnt und dem Menschen angepasst?