Es ist ein kaltes Reich, Wanderer, das wir jetzt betreten: In allen Variationen von Weiß strahlt diese Welt in der Zeit der langen Winter, ganz oben im Norden Kanadas, auf den Inseln des arktisch-kanadischen Archipels, von Melville Island bis Ellesmere Island, mit der größten der Inseln, Baffin Island. In dieser zum großen Teil weiß bedeckten Welt tragen die meisten unserer Mitgeschöpfe zum eigenen Schutz und zur Tarnung weiße Gewänder: Eisbären, Polarfüchse, Polar- und Schneehasen, Schnee-Eulen, Hermeline, Schneehühner, Schneeammern und sie, die Geisterhaften, die wölfischen Feen der Arktis – die Canidae lupus arctos. Ihr bester Schutz, ihr unwirtlicher, menschenfeindlicher Lebensraum, hat sie weitgehend vor menschlichen Aktivitäten bzw. Jagden bewahrt, so dass ihre Art (noch) nicht zu den aussterbenden gehört.
Schemenhaft siehst Du sie, Wanderer, wenn sie auftauchen aus den Nebeln, aus den silbrigen Schneewehen von den Bergen, im engen Verbund – im noch größeren Zusammenhalt des Packs als dem anderer Wolfsbrüder aus südlicheren Gefilden; denn ein einzelner Weißwolf wäre verloren im rauhen Land. So jagen sie immer zusammen in ihren weichen, dicken und langen Bepelzungen, von meist reinweißer Farbe mit gelblicher Rückenzeichnung, oft auch schmutzig- bis cremeweiß. Ohren, rund und kleiner als bei anderen Arten, und auffallend kurze Beine gehören zu den Einrichtungen von Mutter Natur, ihre wölfischen Kinder auch Minustemperaturen von Minusgraden bis 50° ertragen zu lassen. Auch die kürzere Schnauze trägt zu dem gedrungenden Aussehen der weißen Arktisprinzen bei. In den dunkelsten und rauhesten Teilen der Erde bis 68° nördlicher Breite (beispielsweise an den nördlichen Küsten Grönlands) leben sie, allerdings nicht auf Eisschollen, wiegen im Durchschnitt um die 50 bis 80 kg, haben ein Stockmaß von etwa 65 bis 80 cm und eine Körperlänge von etwa 90 bis 150 cm vom Kopf bis zur Schwanzspitze - kleiner und leichter die Weibchen, wie bei allen Hundeartigen. Auch sie werden mit zwei bis drei Jahren geschlechtsreif, bringen durchschnittlich fünf bis sechs Welpen zur Welt.
Es fügt sich gut, Wanderer, dass ihr menschenfeindlicher Lebensraum, in dem selbst Inuit nicht mehr leben, es verhinderte, dass Deine menschliche Rasse wenig Lust verspürte,das Leben dieser feengleichen Geschöpfte und ihrer Welten zu erforschen. Ich weiß aber, dass sie immer noch Nahrung finden (in einem Jagdgebiet von 1300 bis 1600 km²) und dazu täglich etwa 30 km zurücklegen: Jagdbares Wild wie Karibus, ab und an Moschusochsen, Schneehasen, Lemminge und auch Wühlmäuse werden nicht verachtet. In der Frühlingszeit, wenn Vögel aller Arten in den Fjorden ihren Brutgeschäften nachgehen, bietet sich auch in diesen Gebieten Gelegenheit, um dieses vermehrte Nahrungsangebot zur Aufzucht der eigenen Welpen zu nutzen; denn ihr Überleben sichert den Bestand, zumal ein Polarwolfsleben im Durchschnitt nach sieben Jahren endet.
Siehst Du dort Bianca, die Leitwölfin? Freundlich blickt sie dich an, doch ihr Blick sagt auch: „Stör unsere Kreise nicht, unsere Welt ist nicht deine Welt, vielleicht sind aber unsere Träume doch die gleichen, weil sie alle Träume aus dem Urgrund des Lebens sind!“